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Jüterbog vor 50 Jahren - Rückblick auf das Jahr 1959

Verfaßt im Januar 2009

Im Jahr 1959 hatte man hier wahrhaft große Vorsätze. Im März schrieb die Märkische Volksstimme „In 1000 Tagen schlagen wir den Militarismus“, womit gemeint war, daß man die Bundesrepublik wirtschaftlich überflügeln wollte. Westdeutschland sollte im Pro-Kopf-Verbrauch an Lebensmitteln übertroffen werden. Wie der Wettbewerb tatsächlich ausging, ist bekannt. In dieser Zeit wurde mit brachialem politischem Druck darauf gedrungen, die letzten Bauern in die LPG zu bekommen und möglichst die Mehrheit der privaten Handwerker ebenfalls in Genossenschaften (PGH) zusammenzufassen. Schon im Vorjahr waren in Jüterbog PGH des Fleischerhandwerks, des Tischlerhandwerks und des Schneiderhandwerks gegründet worden, und alle drei machte man gut ein Jahrzehnt später zu Volkseigenen Betrieben (VEB). Nur die gleichzeitig gegründeten Handwerklichen Produktionsgenossenschaften des Kraftfahrzeughandwerks und der Maurer und Dachdecker blieben bis zur Wende als PGH bestehen. Die Jüterboger PGH des Malerhandwerks, die als eine der ersten in der DDR schon 1953 gebildet worden war, machte 1959 propagandistisch  Schlagzeilen, in dem sie zu einem innerbetrieblichen Wettbewerb aufrief, was zum nachahmenswerten Beispiel für den ganzen Bezirk Potsdam hingestellt wurde. Ähnliches gilt für die „Raketenbewegung“ zum 10. Jahrestag der DDR, woran sich die beiden Jüterboger LPG Flämingstadt und Neumarkt beteiligen wollten. Vermutlich ging es bei dem seltsamen Begriff um Verpflichtungen zur Leistungssteigerung.

1959 gab es noch 2.421 private Bauern im Kreis Jüterbog. Der einzige Weg für sie, nicht einer landwirtschaftlichen Genossenschaft beizutreten, war, die DDR illegal zu verlassen. Und die große Zahl der Republikflüchtlinge, wie sie amtlich hießen, führte zwei Jahre später zum sogenannten Mauerbau. Kurt Böhmert, Heimatkreisbetreuer für Jüterbog-Luckenwalde in der Landsmannschaft Berlin-Brandenburg, bringt in einem seiner Rundbriefe für die nach Westdeutschland gegangenen ehemaligen Mitbürger des Kreises ein Beispiel dazu. Demnach wollten zwei junge Frauen zum Frisör, was aber der Brigadier der LPG nicht erlaubte, „weil gerade dringende Feldarbeiten zu erledigen waren. Darauf beschlossen die jungen Mädchen, über Luckenwalde nach Berlin-West zu flüchten. Aber wie wurden von der Volkspolizei gestellt und kamen vor Gericht. Sie wurden wegen versuchter Republikflucht zu 8, bzw. zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Als Begründung für die harte Strafe wurde angegeben, daß in der Landwirtschaft junge Arbeitskräfte fehlen, während in Westdeutschland die jungen Menschen nur Landstreicher, Prostituierte und Fremdenlegionäre werden können.“

Im Rundbrief vom August schreibt der Heimatkreisbetreuer an die Heimatvertriebenen im Westen, daß Männe B. vom Wintergarten in Luckenwalde verhaftet worden ist, weil er Fleisch von einem Fleischer gekauft hat, der seine Ware nur auf dem Markt verkaufen durfte. Böhmert kommentiert den Vorgang, daß der wirkliche Grund der Verhaftung wohl darin besteht, weil die HO (die staatliche Handelsorganisation in der DDR) das Lokal haben wollte. Doch nicht nur private Händler, Handwerker und Bauern waren im Fadenkreuz des Klassenkampfes. Auch die Jugend bekam besonderes Augenmerk. Am 9. März brachte die Märkische Volksstimme eine ganzseitige Auseinandersetzung mit  „Halbstarken“ und der westlichen und deshalb verwerflichen Rock-and-Roll-Mode. Die damals alljährlich übliche Sonnenwendfeier, veranstaltet von der Jugendorganisation FDJ, am 21. Juni auf dem Jüterboger Galgenberg richtete sich in diesem Sinne „gegen Eckensteher und Niethosenträger“ als Zeichen dekadenter westlicher Lebensweise.

Abgesehen von politischen Straftaten hatte die DDR damals offenkundig auch ein echtes Kriminalitätsproblem. Bei Rosin in Dorf Zinna (Neuheim) wurde Roggen von der Scheune gestohlen. In Dahme gab es einen Diebstahl von Gerste, ebenfalls aus einer Scheune entwendet. Bei Lehmann in Gebersdorf wurde ein Bienenstock gestohlen. Dem Schneidergesellen Dümde in Bärwalde wurde eine Taschenuhr entwendet. Bei der Witwe Sernow in Niebendorf wurden mittels Einbruchs ein Deckbett und ein Unterbett geklaut. Dem Fleischermeister Spindler in Gottow wurde Speck, Fleisch und Wurst aus dem Rauchfang weggenommen. Böhmert stellt in seinem Rundbrief vom Mai 1959 dazu fest: „Das ist ein führwahr reichliches Sündenregister, besonders wenn man bedenkt, daß das an einem Tage in der Zeitung stand.“

Doch es gab auch Erfolgsmeldungen. So fanden seit Januar keine Sperrstunden bei der Gasversorgung mehr statt. Zum Schuljahresbeginn wurde das Lehrlingswohnheim der Betriebsberufsschule (BBS) der Deutschen Reichsbahn in Jüterbog in Betrieb genommen. Für den Ausbau des Internats der Goethe-Oberschule fand am 1. Mai eine Grundsteinlegung statt. Die Conrad-Blenkle-Schule in der Schulstraße bekam eine Schulküche. Im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks (NAW) waren die Jüterboger aufgerufen, um beim Bau einer neuen Badeanstalt am Blanken Teich mitzuwirken. Das Angebot, sonntags von 8 bis 9 Uhr in Konsum und HO frische Milch kaufen zu können, war ebenso ein Zeichen für eine Verbesserung der Versorgung wie die Eröffnung der ersten Großraum-Selbstbedienungs-Verkaufsstelle für Lebensmittel in der Jüterboger Pferdestraße.

Die Bitterfelder Brigade „N. Mamai“ begründete 1959 die Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“, die noch lange in der DDR-Propaganda eine große Rolle spielen sollte. Doch in den Bereichen Kultur und Sport gab im dem Jahr in Jüterbog auch wirklich Nennenswertes. Die Kopie des Standbildes des Heiligen Mauritius, der die Nordostecke des Rathauses ziert, ist jetzt nach zweijähriger Arbeit fertig geworden. Das Theater der Werktätigen bekam im 10. Jahr der Jüterboger Heimatspiele den Theodor-Fontane-Preis verliehen. Der im Jahr zuvor gegründete Jüterboger Tanzkreis beginnt 1959 mit dem Training für den Turniertanz und wird in den folgenden Jahren mit diesem schönen Sport unvergeßliche Schauveranstaltungen organisieren. Im April findet zu Ehren des 73. Geburtstages von Ernst Thälmann ein Sinfoniekonzert statt. Der Reinerlös der Veranstaltung sollte für den Umbau der Schauburg, des Jüterboger Kinos, zum einem Theater dienen. (2008 ist jedoch die denkmalgeschützte Schauburg eingestürzt.) Ebenfalls im April können die Jüterboger die AEROS-Eis-Revue auf dem Hug auf dem Neumarkt besuchen. Die Schau trug den Titel „Ein Tag im Fernsehstudio“, damals tatsächlich noch etwas Außergewöhnliches.

Ebenfalls Außergewöhnlich war ein mutiger, wenn auch ziemlich erfolgloser Vorstoß der damaligen Mitarbeiter des Jüterboger Stadtarchivs. Denn mit einer Denkschrift plädierten sie für die Beibehaltung der historischen Straßennamen. Auf dem Spiel standen die Große Straße und die Mönchenstraße, die Politikernamen bekommen sollten. Die Umbenennung der Großen Straße in Wilhelm-Pieck-Straße konnte zwar noch zurückgenommen werden – doch 1967 ist sie schließlich zur Leninstraße gemacht worden, was bis 1991 anhielt. Aber die Mönchenstraße verlor schon 1959 wie geplant ihren historischen Namen. Am 20. April traf man sich um 16.00 Uhr an der Ecke zum Wursthof, um mit einer Kundgebung den neuen Namen zu feiern: Joliot-Curie-Straße. Seit 1991 hat auch die Mönchenstraße wieder ihren alten Namen wieder zurück.